Wahljahr oder warum steht Amazon nochmal am Pranger?

Amazon, LeiharbeitAmazon lässt Leiharbeiter zu Dumpinglöhnen arbeiten, hält sie unter schlechtesten Bedingungen und lässt sie durch Rechtsradikale überwachen. So könnte man die Reportage „Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon“ der ARD von Mittwoch, 13.02.2013, polemisch zusammenfassen. Ob dieser Blick hinter die Kulissen die „Hauptsache schnell und billig“ – Mentalität tatsächlich beeinflussen wird, bleibt abzuwarten. 

  • Mittwochabend, kurz vor 23 in deutschen Wohnzimmern. Bei der ARD flimmert Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon  über die Mattscheibe. Dokumentiert wird die Situation ausländischer Saisonarbeiter bei Amazon. Bequem frei Couch und in HD.
  • Für das Weihnachtsgeschäft wirbt Amazon Tausende Mitarbeiter als befristete Aushilfskräfte auch im Ausland an. Die Verträge werden über eine Leiharbeiterfirma abgewickelt. Die Stundensätze sind – wen wundert es – unter Tarif.
  • Die Unterbringung erfolgt unter anderem in einem Freizeitpark unter – so die Reportage – sehr einfachen Bedingungen. Privatsphäre ist Fehlanzeige.
  • Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma sind omnipräsent. Angeblich viele davon mit rechter Gesinnung. Es herrsche ein Kultur der Angst.
  • Eine Anbindung an das öffentliche Leben mit Einkaufsmöglichkeiten oder Lokalen gibt es nicht. Der Transport zum Arbeitsplatz erfolgt laut Reportage viel zu selten und schlecht auf die Dienstpläne abgestimmt in völlig überfüllten Bussen.
  • Kurzfristige Entlassungen von einem Tag auf den anderen sind an der Tagesordnung. Innerhalb von 24 Stunden müssen Mitarbeiter dann die Unterkunft verlassen. Egal, welche Arbeitsdauer im Vorfeld vereinbart worden war.
Alte Informationen in neuer Verpackung

Ein Szenario, das nicht schön ist, aber auch nicht neu. Auch nicht in Deutschland. Wäre der Name Amazon nicht gefallen und hätte ich keine Bilder dazu gesehen, hätte ich gedacht, es geht mal wieder um die Erntehelfer zur Erdbeer- und Spargelzeit oder zur Weinlese. Bauern hatten medienwirksam deutschen Arbeitslosen die Jobs angeboten. Diese haben abgelehnt. Die Arbeit zu anstrengend, das Tempo zu hoch, der Lohn zu niedrig, die Unterbringung zu schlecht.

Das Ergebnis: Die eigens aufgestellten Containerdörfer werden während der Erntezeit mit Wanderarbeitern aus dem europäischen Ausland gefüllt. Busse karren sie zu den Feldern. Die Frankfurter Rundschau spricht im Juni 2012 von Ausbeutung mitten in Deutschland.

Noch schlimmer ist die Situation in anderen europäischen Ländern, z.B. in Deutschlands „Obst- und Gemüsegarten“ , dem Plastikmeer von Almeria in Spanien. „Die Gewächshaussklaven“ titelte die Gewerkschaft Verdi 2007. Bis heute hat sich an der Situation nichts geändert, wie erst kürzlich eine Reportage der ARD zeigte.

Geiz ist geil – solange die Rechnung dafür andere zahlen

Doch wen stört das wirklich solange 500 Gramm Erdbeeren schon im Januar für weniger als zwei Euro zu haben sind und drei bunte Paprika mitten im Winter für 99 Cent. Und solange ich mit Amazon Prime für 29 Euro so viele Päckchen hin und her schicken kann, wie ich will. Lieferung am Folgetag inklusive. Gut, billig und schnell, das ist es doch, was der durchschnittliche Verbraucher will. Denn Geiz ist schließlich geil in Deutschland. Wer den Preis dafür zahlt, ist dabei zweitrangig.

Ich will hier keinesfalls eine Lanze für Amazon und seinen Umgang mit Mitarbeitern brechen. Das was wir in der ARD Reportage gesehen haben, ist nicht in Ordnung. Aber die Konstellationen machen es Amazon natürlich auch leicht, sich aus der Affäre zu ziehen. Für die miesen Bedingungen – Löhne, Unterbringung, Transport, Essen, etc. – ist genau genommen die Leiharbeiterfirma bzw. deren „Reiseunternehmen“ verantwortlich. Mit denen wurden Verträge geschlossen, nicht mit Amazon.

Und Amazon ist beileibe nicht das einzige Unternehmen, das zu Spitzenzeiten Leiharbeiter einsetzt. Ganze Industriezweige leben von diesem kostengünstigen und unverbindlichen „hire and fire“ Modell. Weder Politik noch Gewerkschaften wollten bzw. konnten sich bislang zu einschneidenden Schritten in Sachen Mindestlohn und Leiharbeit durchringen. Erst vergangenen Mittwoch, also just an dem Tag, an dem die ARD-Reportage gesendet wurde, sprach sich Angela Merkel beim politischen Aschermittwoch der CDU in Demmin erneut für Mindestlöhne aus. Notfalls auch gegen den Willen der FDP. Zufall? Oder Lobby-Arbeit im Wahljahr?

Neo-Nazis in Sicherheitsfirmen? Nicht nur bei Amazon

Nicht anders sieht es mit den heiß diskutierten Sicherheitsunternehmen mit angeblich rechter Gesinnung aus. Auch die wurden nicht von Amazon direkt beauftragt. Und auch hier ist das Problem schon länger bekannt. Das Thema ging ja bereits Anfang der Woche über alle Radiosender und zwar nicht nur bezogen auf eine einzelne Firma, sondern in sehr viel weitreichenderem Umfang. Evangelisch.de berichtet z.B. am 11.02.2013 darüber. Auch das ein Thema, was sich gut im Wahlkampf ausschlachten lässt. Ob Zufall oder Planung, der Sendetermin von „Ausgeliefert! ? Leiharbeiter bei Amazon“ passt prima ins politische Konzept.

Wir wussten nichts und wollen nur das Beste

Entsprechend nichtssagend fällt die Antwort aus, die Amazon am Nachmittag allen schickt, die sich via E-Mail beschwert haben. Buchreport.de veröffentlicht sie in voller Länge.  Auch in Kommentaren zum Facebook-Auftritt von Amazon ist sie mehrfach zu lesen. Im Grunde lässt sich eine DIN A 4 Seite Worthülsen auf fünf kurze Statements reduzieren:

  • man wusste eigentlich von nichts
  • man wird aber natürlich alles prüfen
  • man will für alle nur das Beste
  • ihr wollt es doch billig und schnell
  • niemand habe sich bei dem Unternehmen direkt beschwert
Ich bin ein ausgebeuteter Leiharbeiter – holt mich hier raus!

Na sowas aber auch! Ist doch wirklich keiner der eingeschüchterten, ausländischen Leiharbeiter zu Herrn Amazon gegangen und hat sich – in welcher Sprache eigentlich? – über die unhaltbaren Zustände ausgelassen. Ja selbst schuld! Das hat ganz bestimmt nicht daran gelegen, dass man Angst hatte, dann ohne Job und Geld da zu stehen und abgeschoben zu werden. Ich muss sagen, den Teil der Antwort finde ich das eigentlich Unverschämte an der Reaktion.

Was den Rest angeht: Je länger ich mich mit dem Thema befasse, desto unklarer wird mir, weshalb genau jetzt eigentlich Amazon boykottiert werden soll. Weil es bequemer ist, als sich für eine faire Lohnpolitik in Deutschland und gegen Leiharbeit stark zu machen? Weil es einfacher ist, als jeden Mitarbeiter des Sicherheitsunternehmens, das man beschäftigt, von Hand auf seine politische Gesinnung zu durchleuchten? Oder warum?

Aber boykottieren wir ruhig. Der stationäre Handel – der übrigens auch viele sehr gute Versandoptionen bietet – wird es uns danken. Und wir es ihm. Spätestens dann, wenn wir mal wieder auf den letzten Drücker ein Geschenk brauchen oder uns Samstag einfällt, worauf wir am Wochenende auf keinen Fall verzichten können.

Das meinen andere zum Thema:

Warum ich weiter bei Amazon bestelle aber keine Pferdefleisch-Lasagne esse
Amazon und die Leiharbeiter – Ein Skandal, der keiner ist

Noch ein Fundstück, was ich euch mit einem Augenzwinkern nicht vorenthalten möchte:

Du dumme Sau bist Schuld! von Gernot Hassknecht

6 Antworten zu „Wahljahr oder warum steht Amazon nochmal am Pranger?”.

  1. Endlich mal jemand der hinter die Kulissen schaut…

    1. Eigentlich war es etwas anders geplant. Die Shitstorm-Diskussion sollte in den Vordergrund. Aber das wird ein anderer Blog 😉

  2. […] Wahljahr – oder warum steht Amazon nochmal am Pranger? (sehr lesenswert!) […]

  3. Naja, eine zweischneidige Sache. In der Tat ist der Bericht auf der einen Seite sehr reisserisch aufgezogen, auf der anderen Seite sind die Zustände, wenn sie denn alle so zutreffen, in der Tat unhaltbar. Was aber nicht nur Amazon betrifft, sondern jede Firma. Bisher wusste ich über Amazon, dass sie ein grosses Zentrum in Leipzig betreiben und dort den Mitarbeitern regional angepasste Tarife bezahlen. Was noch dahinter steckt, war mir so nicht bekannt. Ob nun Wahljahr oder nicht – wenn wir von so etwas erfahren, sollte man auch darauf reagieren. Und auch wenn die Zeitarbeitsfirmen für die Rahmenbedingungen verantwortlich sind – mittelbar ist es auch Amazon. Und die Naivität des Nichtwissens, die Amazon vorspiegelt, ist eine Frechheit. Ich habe kein Problem mit Zeitarbeit. Aber Zeitarbeit endet bei Feierabend und darf nicht in die Privatsphäre der Mitarbeiter eingreifen. Auch hier wird es Zeit, Zeichen zu setzen. Meine Meinung.

    1. Wir sind nicht weit auseinander mit unserer Meinung. Aus meiner Erfahrung beruhigt die Mehrzahl der Menschen, die solche Reportagen überhaupt wahrnehmen, meist nur kurzfristig ihr soziales Gewissen, indem sie sich mit Boykottaufrufen identifizieren.

      Ein Beispiel, das mir noch im Gedächtnis ist, ist Müller Milch. Die Produkte wollte auch NIEMAND mehr kaufen, wegen der Nähe der Geschäftsführung zur rechten Szene. Hier hätte Boykott ja sogar direkten Einfluss auf die richtigen Leute gehabt. Aber die Regale sind weiterhin voll mit Müller Produkten. Ich kaufe sie übrigens bis heute nicht wieder.

      Und wer Amazon boykottiert, arbeitet mir zu. Denn ich bin tatsächlich eine Verfechterin des stationären Handels, weil ich mich nicht irgendwann aufregen müssen möchte, weil ich nicht mal mehr eine Tüte Milch im Ort kaufen kann.

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