Amazon und die Leiharbeit Teil II: Das hat mir keiner gesagt!

Die Story um Amazon und die Leiharbeit erstaunt mich immer mehr. Ist denn schon Sommerloch oder warum wird jedes noch so peinliche „Tagebuch“ – hier die dramatischen Erlebnisse einer deutschen Studentin – großflächig vermarktet? Oder ist die Amazon-Schlammschlacht einfach gut für die Quote und man springt schnell mal auf den Ausbeuterzug auf?

Amazon, Leiharbeit
Beutet Amazon etwa auch deutsche StudentInnen aus? (Lizenz: Wikipedia public domain)

Jedenfalls bin ich diese Woche dank Jan über „Das Tagebuch einer Amazon-Packerin“ in der FAZ.net gestolpert.

Beutet Amazon auch deutsche StudentInnen aus?

Eine Frau lässt sich, laut FAZ online, auf das Inserat des Zeitarbeitsunternehmens Studitemps, spezialisiert auf die Vermittlung von Studenten in Aushilfsjobs und Praktika, ein. Für 9,50 Euro pro Stunde könne man in Koblenz oder Augsburg hinter die Kulissen eines global arbeitenden Unternehmens blicken. Unterkunft und zwei Mahlzeiten am Tag werden außerdem vom Unternehmen gestellt. „Warum nicht?“, dachte sich die Frau und sagte für drei Wochen zu.

Für 9,50 Euro die Stunde inklusive Kost und Logis in der Hauptgeschäftszeit (Vorweihnachtszeit) in ein Unternehmen reinschnuppern, klingt ja wirklich nach einem coolen Job. Der gesunde Menschenverstand sollte einem aber auch sagen, dass das neben dem Schnuppern auch mit Arbeit verbunden sein könnte.

Wenn ich das gewusst hätte…

Anfang Dezember, also zur Amazon-Hauptsaison, geht es los. Rund 60 „verliehene“ StudentInnen werden am Bahnhof von Mitarbeitern der Personalvermittlung in Empfang genommen. Ein Drama nimmt seinen Lauf.

  • Einsatzort ist nicht Augsburg direkt sondern Graben im Landkreis Augsburg. Unfassbare 20 Kilometer entfernt. Dummerweise hat Amazon dort sein Logistikzentrum errichtet.
  • Zwischen Unterbringung und Einsatzort liegen 60 km.
  • Zum Restaurant und damit zu den inklusive Mahlzeiten muss man fünf Minuten zu Fuß gehen.
  • Das Essen hat nicht geschmeckt.
  • Getränke müssen selbst gezahlt werden.
  • Die Zeit fürs Essen und den Weg von und zur Arbeit wird NICHT auf die Arbeitszeit angerechnet.
  • Die Schicht kann nicht frei gewählt werden.
  • Man hat nur einen Tag in den drei Wochen frei (ob gesamt oder pro Woche ist nicht eindeutig zu entnehmen)
  • Einweisung erfolgte nur auf Deutsch – soweit die Frau das mitbekommen hat.
  • Man muss eine Stunde (bezahlt?) auf einen Mitarbeiter für die Einweisung warten.
  • Man muss Stunden (bezahlt?) auf Arbeitsmaterial warten.
  • Arbeitsschuhe und Handschuhe gibt es nicht für alle. Erst werden die Mitarbeiter mit dem größten Risiko versorgt.
  • Die stehende und körperlich belastende Arbeit ist mit Rückenschmerzen und wunden Händen verbunden. Auf Anfrage! werden Arbeitshandschuhe gestellt.
  • Die Wege in und aus der Pause werden auf die Pausenzeit angerechnet.
  • Es gibt „Aufseher“.
  • Die „Aufseher“ achten darauf, dass man sich nicht zu oft vom Arbeitsplatz entfernt und „schüchtern ein“.
  • Nach der Arbeit ist man zu müde für den Mitternachtssnack.

 

Liebe Frau A-Z

Leider kann ich Sie nicht mit Ihrem richtigen Namen ansprechen. Der muss geheim bleiben, weil Sie – so die FAZ online – bei Amazon eine Verschwiegenheitserklärung bezüglich Firmeninterna unterzeichnet haben.

Es tut mir echt leid, was sie da drei lange Wochen alles erleiden mussten. Stellen Sie sich nur mal vor, Sie seien fest angestellt und müssten das jeden Tag ertragen. Unfassbar! Da würden Ihnen auf Dauer auch die festen Arbeitsschuhe, die übrigens in den ersten Tagen und Wochen krass drücken und reiben, wenn sie neu sind, nichts mehr helfen. Knie und Rücken wären dauerhaft stark belastet und Hand-Model könnten Sie vermutlich auch nicht mehr werden.

Wenn ich nicht zur Firma will, könnte die Firma einfach zu mir kommen

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass eine weite Entfernung zum Arbeitsort blöd ist. Ich bin ein Jahr lang täglich gut je 50 km hin und zurück gefahren. Mit dem eigenen Auto, selbst bezahltem Sprit und die Fahrtzeit wurde nicht auf meine Arbeitszeit angerechnet. Eine Unverschämtheit ist das. Ausbeuterei! Man hat ja keine Freizeit mehr. Und im Winter musste man sogar noch früher los. Dabei konnte man doch nichts für Schnee und Eis. Mehrfach habe ich vorgeschlagen, den Firmensitz doch bitte in meine Nähe zu verlegen. Man wollte nicht! Arbeitgeber sind ja so unflexibel. Ich sag’s Ihnen. Das glaubt man nicht.

Und dann die Pausen. Wie eingeschränkt man da war. Ok, ich konnte auch länger als eine Stunde wegbleiben, wenn ich mal in der nächstgelegenen Stadt essen wollte. Aber stellen Sie sich vor: Diese Zeit musste ich nacharbeiten! Unverschämt sage ich Ihnen. Ganz unverschämt. Als ob man das mit der 40 Stunden Woche sooo genau nehmen müsste.

Dazu immer noch diese Kontrollen. Wie weit bist Du mit dem Projekt? Wann veröffentlichst Du den nächsten Artikel? Was hast Du für den 1. April geplant? Kannst Du mir mal schnell einen Text hierfür liefern? Nein, den brauche ich wirklich sofort, sonst können wir nicht online gehen. Wie ein Mensch zweiter Klasse fühlt man sich da. Nur weil sie einem monatlich Geld bezahlen, denken die doch gleich, sie dürften was von einem verlangen. Ausbeuter sag ich da nur!

Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm!

Ich weiß, ich weiß. Das alles ist nicht mit Ihrem Leid zu vergleichen, denn ich wusste ja, was auf mich zukommt. Ich habe im Vorfeld nachgefragt, wo ich genau arbeiten muss. Wie viele Tage ich frei habe. Wie weit der tägliche Fahrweg ist. Welche Arbeitsmaterialien es gibt und was ich mir selbst zulegen muss. Wie die Zielvereinbarungen aussehen und wie sie kontrolliert werden.

Ja, Sie lesen richtig. ICH wusste solche Details. ICH habe nämlich einfach mal vorher gefragt. Ok, mag daran liegen, dass ich aus einem naturwissenschaftlichen Studiengang komme, in dem das Hinterfragen unabdingbar ist. Wobei, wenn Sie mit einer studentischen Arbeitsvermittlung zusammenarbeiten, sollten wir uns vom Hintergrund ja nicht so sehr unterscheiden.

Es kann also auch einfach sein, dass ich ein Stückchen näher am realen Leben bin, als Sie. Und das ist nun mal für die wenigsten Menschen so komfortabel und bequem wie für Sie und mich. Solange wir Dinge, die wir heute ganz bequem von zuhause aus bestellen, für wenig Geld morgen auf dem Tisch haben wollen, so lange wird es Menschen geben, die beim Verpacken unter Zeitdruck leiden müssen. Deren Rücken dauerhaft geschädigt wird und deren Hände zerschnitten sind. Bis es für diesen Job Roboter gibt und die Menschen, die durch sie ersetzt werden, sich einen anderen, noch schlechteren Job suchen müssen. Einfach nur, weil sie weniger Glück im Leben hatten als Sie und ich.

Liebe Frau A-Z, seien Sie mir nicht böse. Aber was Sie in Ihrem Tagebuch treiben, ist Meckern auf hohem Niveau. Und ganz nebenbei ein Schlag ins Gesicht all derer, die mit der gleichen Tätigkeit ihr Leben und ihre Familien finanzieren.

Mit freundlichem Gruß

Eine Leserin, die sich bei Ihrem Geflenne die Ironie nicht mehr verkneifen konnte.

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4 Antworten zu „Amazon und die Leiharbeit Teil II: Das hat mir keiner gesagt!”.

  1. Ja, Arbeit kann so ungerecht sein. Manch einer hat bei der Arbeit schon arbeiten müssen. Man stelle sich das vor.

    Schöner Artikel! Ich musste sehr schmunzeln.

    1. Freut mich, dass Du beim Lesen Spaß hattest. Den hatte ich beim Schreiben auch. Manchmal ist unsachlich einfach super 😉

      1. Auf jeden Fall.
        Und so unsachlich fand ich das gar nicht 😉

      2. Jedenfalls 100% ich 😉 Ich liebe Ironie und freue mich immer, wenn Menschen sie verstehen. Aber in den nächsten Tagen will ich mich nochmal unironisch mit dem Thema auseinandersetzen. Also aus Social Media Management Sicht.

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