Stefan Selke: Lifelogging – ein kritische Betrachtung

Fürs Wassertrinken gibt es die Erinnerungs-App, beim Sport motivieren uns unsere Follower per “like”, die Zahnbürste kommuniziert mit dem Handy und mit der Lifelogging Cam an der Stirn filmen und archivieren wir unser Leben. Stefan Selke nimmt den Trend der Selbstprotokollierung kritisch unter die Lupe und fragt nach den Konsequenzen.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwer es ist, sich zu disziplinieren, mehr zu trinken. Also täglich. Und nicht alkoholisch. Ich weiß auch, wie gut es tut, wenn man es geschafft hat. Der Kopf ist viel klarer, man ist einfach fitter. Geschafft habe ich es, indem ich mir morgens zwei Flaschen Wasser und ein Glas auf den Tisch gestellt habe. Das Glas wurde vollgeschenkt und immer, wenn mein Blick darauf fiel, auf einen Zug leer getrunken und sofort wieder vollgeschenkt. Geholfen hat mir auch ein kleiner Wassertest. Denn nicht jedes Wasser schmeckt gleich und lässt sich gleich gut trinken. Ich habe meine “Hausmarke” gefunden und zwei bis drei Liter am Tag sind sind seit gut 3 Jahren kein Problem mehr. Zugegeben, auf die Idee, eine App zu suchen, die mich in regelmäßigen Abständen ans Trinken erinnert, wäre ich nicht gekommen. Keine Ahnung, ob es die „damals“ bereits gab. Heute jedenfalls gibt es sie.

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(Cover: Econ)
Trink doch mal was!

Dieses Beispiel eignet sich in meinen Augen besonders gut, um Sinn und Unsinn von Apps für das tägliche Leben zu diskutieren. Wir wissen, dass wir mehr trinken sollten, tun es aber nicht und merken oft erst am Abend, wie trocken der Mund ist. Also viel zu spät. Eine regelmäßige Erinnerung kann hier helfen, wenn unserer Instinkt – der ja weiß: “Du sollst trinken” – offensichtlich nicht stark genug ist.

Auch eine App, die Schritte zählt, ist an sich nicht verkehrt. Gerade für Menschen, die im Sitzen arbeiten oder generell eher träge sind. Zumindest zu Anfang wird man den Reiz verspüren, den selbst gesteckten Zielen gerecht zu werden. Doch wie ist es, wenn man sowieso gerade viel zu tun hat und seinen täglichen Soll nicht ohne zusätzlichen Stress erreichen kann? Was wiegt dann schwerer? Der Gewinn für die Gesundheit durch mehr Bewegung oder der erhöhte Stresspegel durch das nicht Erreichte?

Und wie weit entfernen uns technische Spielereien, die recht tief in unseren Alltag eingreifen, von unseren Instinkten, unserem Vertrauen in uns selbst? Stefan Selke führt als Antwort auf diese Frage das Beispiel eines Sportlers an, der sich ganz auf die Parameter seines Vitalwerte-Trackings verlässt und sich komplett überfordert, als das Gerät versagt. Er war nicht mehr in der Lage, die Signale seines Körpers richtig zu interpretieren und zog sich erhebliche gesundheitliche Schäden zu. Und das alles, weil ihn kein Piepsen darauf aufmerksam gemacht hat. Sicher ein Extremfall, aber eben ein nicht auszuschließender.

Was passiert mit den Daten?

Und was passiert eigentlich mit den Daten, die wir da fleißig freiwillig über uns sammeln? Wie reagiert eine Krankenkasse, wenn sie darauf Zugriff bekommt und welche Konsequenzen hat das für uns? Was passiert nach unserem Tod mit unserem in der Cloud archivierten Leben? Wer hat ein Recht auf die Daten? Und haben meine Aufzeichnungen dann womöglich Konsequenzen für meine Nachkommen?

Das alles sind Fragen, mit denen sich Stefan Selke sehr kritisch auseinander setzt. Ein Ansatz, den ich zwar verstehen kann, ich bin selbst ziemlich ambivalent gegenüber der Rundumerfassung meines Lebens, der mir aber an vielen Stellen zu einseitig ist. Aber daraus macht Selke ja auch keinen Hehl. Er findet es an der Zeit, einen Hype und eine für ihn negative Entwicklung sehr kritisch zu beleuchten.

Geofencing- Fluch und Segen?

Damit hat er mir viele Denkanstöße gegeben. Zum Beispiel, was Geofencing angeht. Also die Möglichkeit, eine Gebiet einzugrenzen, in dem sich ein Mensch, ein Tier oder eine Sache ungehindert bewegen darf. Überschreitet er/sie/es diese Grenze, schlägt beim “Überwacher” ein Alarm an. Eine große Erleichterung für das Leben mit dementen Menschen, die so nicht mehr “verloren” gehen können. Aber irgendwie eben auch ein bisschen gruselig, wenn jeder Schritt nachvollzogen werden und man sich dessen nicht erwehren kann. Und eben auch eine perfekte Option zum Missbrauch. Zum Beispiel durch überängstliche Eltern, die jeden Schritt ihrer Sprösslinge kontrollieren, oder misstrauische Arbeitgeber, die Schritt für Schritt wissen wollen, was ihre Mitarbeiter so treiben um die Szenarien einmal nur auf das private Umfeld zu beschränken.

Für mich ist die Entscheidung noch nicht gefallen, ob und wie weit ich Lifelogging für mich selbst einsetzen möchte. Dass es früher oder später Einzug in mein Leben halten wird, ist klar. Dazu ist die Entwicklung längst zu weit fortgeschritten und gehört zu unserer digitalen Welt hinzu. Trotzdem finde ich es gut, die Haken an der Sache nicht aus dem Auge zu verlieren und individuell zu entscheiden, was man mit sich vereinbaren möchte und was nicht. Dabei hilft Stefan Selkes “Lifelogging” eindeutig.

Von mir eine klare Leseempfehlung.

Stefan Selke

Stefan Selke landete nach einigen Semestern Luft- und Raumfahrttechnik bei der Soziologie und ist inzwischen als Professor für “Gesellschaftlicher Wandel” an der Hochschule Furtwangen im Schwarzwald am Puls der Zeit. Schon vor Jahren entwickelte und testete er mit Studenten eine Smartphone-App. Er bloggt unter stefan-selke.tumblr.com, vernetzt sich unter facebook.com/selkestefan und sammelt seine Forschung auf stefan-selke.de.

Buchinfo: Lifeloggin von Stefan Selke, erschienen bei Econ, Mai 2014. 368 Seiten, gebunden, € 19,99, ISBN 978-3-430-20167-6. Danke für die Überlassung des Leseexemplares.

Eine Antwort zu „Stefan Selke: Lifelogging – ein kritische Betrachtung”.

  1. Gruslig, was man heutzutage von sich preis git und welche Vor- und Nachteile das hat. Wir nutze unsere Daten – aber andere können das auch 😦

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