Wenn ich hier über Zukunftsthemen schreibe, dann handelt es sich meist und Arbeitsszenarien der Zukunft. Aber nicht nur. Für mich ist der Umgang mit Inselbegabungen, wie sie zum Beispiel bei Menschen aus dem autistischen Spektrum auftreten, ebenso Thema wie die Folgen der demografischen Veränderungen unserer Gesellschaft. Dazu gehört auch die Demenz, die uns mit steigender Lebenserwartung zunehmend zu schaffen macht. Den Patienten, den Angehörigen, den Pflegenden.
Meine Mutter ist gerade 80 geworden und geistig und körperlich völlig fit. Und sie weiß es nicht zu schätzen. Dabei erzählt sie immer wieder von gleichaltrigen Freunden und Freundinnen, die mit schweren Beeinträchtigungen zu kämpfen haben. Herzbeschwerden, inoperable Bandscheibenprobleme, Krebserkrankungen und eben Demenz. In ihrem Fokus liegt dabei nur die Situation der Angehörigen. Wie sie unter den Eskapaden der Erkrankten leiden, wenn diese noch daheim leben können. Wie sie dadurch eingeschränkt werden. Und natürlich wie sie leiden, wenn die dementen Angehörigen schließlich in ein Heim umziehen müssen, weil sie Rundumbetreuung brauchen. Irgendwann erkennen sie dann ihre Partner, ihre Kinder, ihre Familie nicht mehr.
Von Demenz bislang verschont
Selten habe ich mich bisher mit der Seite der Erkrankten selbst auseinander gesetzt. Zum Glück war das bislang in unserer Familie kein Thema. Vielleicht hat mich Dement, aber nicht bescheuert – Für einen neuen Umgang mit Demenzkranken deshalb so angesprochen.
Mein Bild von der Unterbringung dementer Menschen sieht eher trostlos aus. Verwahrt in muffigen Heimen. Pflege- und Betreuungspersonal, das permament unter extremem Zeitdruck steht und dabei noch schlecht bezahlt wird. Eine Sozialgesetzgebung, der die Verwaltung der Kranken wichtiger ist als ihre sinnvolle Förderung.
Michael Schmieder geht das Problem wohltuend anders an. Auch deshalb, weil die gesetzlichen Verwaltunghürden in der Schweiz niedriger sind. Aber eben auch, weil er erfahren hat, dass jede und jeder Demenzkranke trotz ihrer oder seiner Erkrankung ein Individuum bleibt.
Was macht Heim Sonnweid anders?
Ursprünglich war Heim Sonnweid ein Heim für Seniorinnen aller Stadien und hatte einen mehr als bescheidenen Ruf. Unter der Führung von Michael Schmieder hat es sich gewandelt:
- Betreut werden jetzt ausschließlich Demenzkranke
- Wer noch ziemlich fit ist, lebt in Einzel- oder Doppelzimmern in “Demenz-WGs” in eigens erstellten Pavillons. Dabei werden sie in die Alltagsarbeiten eingebunden, soweit es ihre Kräft erlauben. Ziel ist eine möglichst lange Selbstständigkeit zu bewahren.
- Schwindet die Eigenständigkeit, erfolgt der nahtlose Wechsel in das geschützte “Heim”.
- Ist eine Rundum-Betreuung nötig, ziehen die Patienten in eine der “Oasen” um, Gemeinschaftsräume mit sorgfältig geplanten Rückzugsmöglichkeiten, die die Privatsphäre beim Waschen und Anziehen wahren. Hier sind die Möbel leicht verschiebbar um immer neue Umgebungen zu schaffen.
Michael Schmieder
geboren 1955, leitet das Heim Sonnweid bei Zürich. Er ist ausgebildeter Pfleger und hat einen Master in Ethik
Uschi Entenmann
Jahrgang 1963, ist Autorin bei Zeitenspiegel Reportagen in Weinstadt bei Stuttgart
Buchinfo: Dement, aber nicht bescheuert von Michael Schmieder und Uschi Entenmann, erschienen bei Ullstein, 23.10.2015, 224 Seiten, Klappenbroschur, 19,99 Euro, ISBN 978-3-550-08102-6
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